19. Juni 2016

"In Recovery, aber..."

Ich bin der Meinung, dass man NIE WIEDER hundertprozentig gesund wird, wenn man einmal eine Essstörung hatte. Man kann diesem Zustand vielleicht sehr nahe kommen, aber ganz lässt es einen nicht mehr los. Man kann sich in Therapie begeben, hart an sich arbeiten, und nach einer Weile erste Erfolge sehen; dem Körper geht es wieder besser, das Essen fällt leichter, das Leben macht wieder Spaß - aber der Kopf wird sich nie wieder davon erholen. Jedenfalls nicht komplett. Die Angst vor zu fettigem Essen, die Angst vor unkontrollierter Gewichtszunahme, die Zweifel, ob man das Richtige tut... das alles ist immer noch vorhanden. Vielleicht nur noch latent und unbewusst, aber es ist da, und in schwierigeren Zeiten gräbt es sich wieder an die Oberfläche und ergötzt sich an der Traurigkeit, der Leere, der Verzweiflung, der Einsamkeit etc.

Ich habe die letzten Wochen gemerkt, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Meine Gedanken drehen sich wieder viel mehr um Essen, Essanfälle, Gewicht, Aussehen etc. Und ich frage mich warum. Was versuche ich damit zu kompensieren, was für eine Motivation steckt dahinter, warum geht es mir psychisch wieder so schlecht? Ging es mir überhaupt mal gut, oder war das auch nur Illusion und Wunschdenken..?!

Zugegeben, die äußeren Umstände sind nicht so rosig, aber reicht das?
Es gibt momentan fünf große, teils echt komplexe Dinge, die mir nahe gehen; um das jetzt nicht zu lang werden zu lassen, werde ich das Wichtigste nennen und weniger ins Detail gehen:
Da hätten wir einmal die Tatsache, dass mich auf der Arbeit eine gewisse Mitazubine fertigmacht. Wir werden NIE auf eine Wellenlänge kommen, dafür sind wir einfach zu verschieden. Trotz allem bin ich der Meinung, dass man damit professionell umgehen sollte - was leider nicht der Fall ist. Sie ist jemand, der die Dinge immer so dreht, dass sie diejenige ist, die positiv dasteht. Sie erzählt Dinge, die so nicht passiert sind, und manchmal auch völlig aus dem Kontext heraus. Sie verbreitet Lügen und lästert was das Zeug ist, kriecht den Leuten in den Arsch, ist unkameradschaftlich, kann mit Kritik nicht umgehen, und geht immer petzen, wenn sie mit jemandem aneinanderrasselt, den sie nicht mag; sie versprüht einfach Falschheit, das merkt man schon daran, dass ihre Stimme mega arschkriecherisch und babymäßig wird, wenn sie mit Vorgesetzten spricht, oder dass sie auf einmal mit zwei anderen  (die mit der auch Probleme haben) und mir spricht, wenn jemand dabei ist, aber wenn keiner da ist, morgens nicht einmal die Fresse aufkriegt, wenn man sie grüßt. Ende von der Geschichte: Drei Menschen, mit denen ich mal super auskam, distanzieren sich von mir, und einer redet überhaupt kein Wort mehr mit mir. Ich hab keine Ahnung, was sie erzählt hat. Zwei dieser Menschen sind unmittelbare Kollegen von mir, mit denen ich jeden Arbeitstag zu tun habe. Und dann noch sie dazu... ich mache mir den Abend vorher schon Gedanken, wenn ich weiß, dass sie auch da ist und will gar nicht mehr zur Arbeit.

Na ja. Zweite Sache wäre, dass auch drei Leute aus der Berufsschule nicht mehr mit mir sprechen. Leute von denen ich dachte, dass sie cool sind. Sie echauffieren sich, weil ich mich während der Klinikzeit nicht gemeldet habe, obwohl in meinem WhatsApp Status stand, dass ich nicht erreichbar bin, weil ich meine Ruhe brauchte und ich mich auf die Therapie konzentrieren wollte. "Du hättest dich ja trotzdem melden können!" Super empathisch, oder? Das "Witzige" an der Sache ist, dass sie sich selber nicht gemeldet haben. Und eine meinte sogar, ich hätte ihr dreimal nicht zurückgeschrieben, was ich anhand von Screenshots widerlegen konnte, worauf sie natürlich nichts mehr gesagt hat.
Zweites: Sie sind sauer auf mich, weil ich sie Mobber genannt  und gesagt habe, dass ich das niveaulos und armselig finde. "Du übertreibst, das ist überhaupt kein Mobbing, und außerdem musst du zugeben, dass J. manchmal echt komisch ist!"
Wie würdet ihr Sätze wie "Das interessiert doch eh keinen, was du sagst!", oder "Die ist einfach nur dumm!", oder "Warum guckt die so scheiße?" beurteilen? Und das laut in die Klasse rein, wenn besagte Person sich im Unterricht meldet? Oder wenn die beim Rauchen über sie lästern und lachen? Das Traurige an der ganzen Sache ist, dass eine von denen 25 und Mutter ist; wie kann man in dem Alter nur so unreif und scheiße sein!? Tut mir leid, aber ich mach bei sowas meine Fresse auf, weil ich es einfach gemein, unfair, unnötig, und niveaulos finde.

Drittens wäre dann die Tatsache, dass ich mich aufgrund dieser zwei Punkte nicht mehr wohlfühle in meinem Arbeitsumfeld. Und ich habe auch einfach gemerkt, dass das nicht mein Beruf ist und ich mich unterfordert fühle... das hört sich jetzt mega arrogant an, ich weiß... aber es ist einfach die Realität. Bin verzweifelt auf der Suche nach Ausbildungsplätzen in Hamburg, möchte umziehen und nochmal neu anfangen. Dort habe ich auch verhältnismäßig viele Freunde von den Klinikaufenthalten. Aber bisher ist meine Suche leider erfolglos. Wenn ich daran denke, dass ich dann noch mindestens ein Jahr dort bleiben muss... ich weiß wirklich nicht, ob ich das psychisch hinkriegen würde.

Und als letztes wären da noch die Trennung, mit der ich immer noch heftig zu kämpfen habe, und mit der Tatsache, dass dieser Mensch nichts mehr mit mir zu tun haben will und mir keine Chance auf ein letztes Gespräch gegeben, sondern das ganze über WhatsApp beendet hat.
Und natürlich der Suizid meines Chefs, den ich immer noch nicht realisiert habe und ich echt traurig bin, dass ich ihn nie wieder sehen werde und ich mich auch nie wieder mit ihm unterhalten kann.




Aber reicht das für einen Rückfall? Ich denke mir einfach nur, dass ich irgendwas falsch mache, wenn mich so viele Leute nicht abkönnen, und dass irgendwas an mir nicht richtig sein muss. Dass ich doch nicht so cool bin, wie viele sagen. Und dass ich eigentlich nur noch alleine sein will.
Essanfälle klingen verlockend, dann wäre ich für einige Augenblicke wieder "glücklich". Abnehmen klingt super, denn dann hätte ich wieder was, worauf ich "stolz" wäre. Essstörung klingt wunderbar, denn dann hätte ich etwas, was mich von allem anderen ablenkt und womit ich meinen Tag füllen könnte; Essstörung klingt wunderbar, weil ich somit alle Gefühle, die ich momentan habe, nicht mehr spüren würde. Leere ist besser als Achterbahn fahren, Leere ist besser als fett sein, Leere ist besser als das ungstüme Leben.

Was rede ich da eigentlich wieder? Ich will nicht zurück, will meinen Tag nicht nur mit essen und kotzen verbringen, will nicht mehr dauerpleite sein, will mich nicht mehr abkapseln von allen, und will auch nicht immer nur wegrennen vor den Dingen.
Aber es ist so verlockend. Die Gedanken daran manifestieren sich, schon die ganzen letzten Wochen. Ich steige wieder auf die Waage und tue auch fast alles andere, was damit zusammenhängt. Ich triggere mich selbst mit vollem Bewusstsein.

Ich hab einfach keine Ahnung, was ich tun soll.

7 Kommentare:

  1. Liebe Calla ♥
    danke für deine worte. es freut mich immer, wenn jemand neues auf meinen blog stößt. wie hast du mich denn gefunden? irgendwie finde ich das spannend. und vielen dank für das liebe kompliment. im moment habe ich allerdings das gefühl, dass ich überhaupt nicht mehr schreiben kann und nur schreibe, um überhaupt etwas zu sagen und nicht in der stille unterzugehen. ein paar sonnenstrahlen gibt es immer, ich kann sie nur nicht immer sehen. gerade jetzt ist eine ziemliche triggerzeit. aber die zeit geht vorbei. irgendwann.
    entspannt ist immer relativ. ich setze mich im moment sehr mit banalitäten unter druck, weil ich ohne diese ordnung untergehen würde. gleichzeitig macht es mich aber kaputt. hoffentlich war dein wochenende besser.

    alles liebe
    anna <3

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  2. Hey :)
    Ich glaube nicht, dass man das Loswerden oder Nicht-Loswerden so pauschalisieren kann. Ich hab auch oft so gedacht(es geht eh nicht weg, brauch ich es gar nicht versuchen), aber ich glaube inzwischen eher, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der auch nicht-essgestörte Menschen sich immer mal wieder Gedanken um ihr Gewicht, ihre Figur und das Essen machen. Und wir sind dann vielleicht schneller wieder in alten Verhaltensmustern drin, als "einfach nur" eine Diät zu machen, das stimmt. Jedenfalls gibt es auch genug Menschen, die irgendwann weitgehend frei von ihren Essstörungen sind. Vielleich müssen sie achtsamer mit sich umgehen, als andere...

    Zu den Leuten, die versuchen, Dich fertig zu machen: Ich kenne solche Situationen und ich habe mich auch immer gefragt, was um Himmels willen ich denn falsch mache. Ich habe sogar nachgefragt, was deren verdammtes Problem eigentlich ist?! Aber damit habe ich mich in ihren Augen nur noch lächerlicher gemacht... Letztlich stellte sich heraus, dass das "Problem" etwas war, das ich weder ändern konnte noch wollte und was überhaupt nicht schlimm ist geschweige denn mich zu einem schlechteren Menschen macht. Der Fehler liegt dann eher bei denen, die es für nötig halten, andere zu denunzieren, als bei Dir. Es ist super schwer, damit umzugehen, DIE Ideal-Lösung hab ich da auch noch nicht gefunden. Aber man muss ich damit abfinden, dass einen niemals alle Menschen mögen werden. Auch wenn Du noch so cool bist, hat ja jeder ein anderes Verständnis von cool. Das wichtigste ist in meinen Augen, dass Du Dich mit Dir selber wohlfühlst.

    Liebe Grüße,
    Lucia

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  3. Habe gerade den ersten Absatz deines Blogposts abfotografiert und jemandem geschickt, dessen Schwester auch mal eine Essstörung hatte und die jetzt in seinen Augen wieder völlig gesund ist. Deine Worte treffen es gut. :)
    Vielleicht hilft es dir, dich an die guten Zeiten zu erinnern und aus ihnen die nötige Kraft zu ziehen, da wieder herauszukommen. Bulimie ist so schrecklich, und du solltest keinen Moment lang daran zweifeln, dass du den Ausstieg wieder schaffst. Fülle deinen Tag mit anderen Dingen, die dich erfüllen. Leicht gesagt und du weißt wahrscheinlich selbst, welchen Weg man gehen muss, um sich wieder zu befreien. Ich wünsche dir viel Kraft - es lohnt sich!! <3

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  4. Hay Calla♥

    Es ist schade, zu lesen, dass es dir wieder schlechter geht. Ich denke, diese Dinge reichen locker für einen Rückfall. Wenn man einmal dort war, braucht es nicht viel, um den Weg dorthin wieder zu finden.
    Natürlich klingt es verlockend; für mich ist die ES auch eine Art "Ausweg" beziehungsweise eine Art "Notbremse", wenn man es so nennen kann. Aber natürlich ist es nie gut, wieder abzurutschen. Denk an deinen Erfolg, an das, was du erreicht hast. Es war wahrscheinlich nicht einfach, willst du das also wirklich nochmal durchmachen müssen? Ich hoffe, du bleibst auf dem Weg der Besserung & rutschst nicht wieder in alte Gewohnheiten.
    Nur weil einige dich vielleicht nicht mögen, heißt das nicht, dass dich niemand mag. Es muss nicht an dir liegen, sondern kann viele Gründe haben. Also mach dir keinen Kopf, dass es an dir liegt.♥


    Zu deinem Kommi:
    Vom dünn *sein* erhoffe ich mir erst mal gar nichts. Es ist eher das dünn *werden*, die Kontrolle, die Disziplin. Die Leere, die du beschreibst, die die Gefühle verschluckt, sie irgendwo einsperrt & mir einen kurzen Augenblick ohne Denken oder Grübeln, ohne Zweifeln oder Planen, einfach ohne alles ermöglicht. Es ist eine Art "Ausgang" aus dieser Welt, eine Tür, die sich so viel leichter öffnen als schließen lässt & die Flucht aus dieser Welt ermöglicht, in der ich mich so oft nicht zugehörig fühle.
    Natürlich ist es auch schöner dünn zu sein als dick. Natürlich will ich eine kleine Zahl auf der Waage sehen & natürlich will ich in gewisser Weise auch Perfektion, die ich, wie ich mir einbilde, durch die kleinere Zahl immer mehr erreiche. Es ist nur Illusion, ich weiß. Aber ich kann nicht nicht dünn sein wollen, also will ich umso dünner sein.
    Was waren denn bei dir die Gründe?

    Mit dem Wunsch nach Perfektion steht man sich ganz klar selbst im Weg. Aber wie soll man es von 0 auf 100 abschalten? Es wäre schön, wenn ich irgendwann an den von dir beschriebenen Punkt komme. Es wird wohl noch ein bisschen dauern, aber irgendwann schaffe ich es. Die Frage ist nur wann.

    Pass auf dich auf & alles Liebe. (:
    XO, Kate♥

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  5. das leben kann schön sein. um sagen zu können, dass das leben schön ist, werde ich wohl noch ewig brauchen.

    du sagst so schöne dinge über mich. oder zumindest meine kleine internetheimat. und ich bin wirklich erstaunt, dass du auf meinen blog gestoßen bist. ich bin ja ziemlich versteckt, benutze nie irgendwelche hashtags (bei blogger heißt das label oder so?! keine ahnung, ich benutze es ja nicht..) und allgemein kennt mich kaum jemand. ja, der winter. er ist immer da. und ich mag ihn irgendwie. jedes mal, wenn ich kurz in den frühling stolpere oder gar in den sommer rase, bin ich so verloren. im winter ist alles vertraut. heute war etwas besser als gestern, immerhin.
    wie ist es bei dir gerade?

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  6. Und ich dachte schon, ich wäre alleine! (: Alle immer mit ihrem "guten" Wetter; warum ist Regen schlecht? Zu viel Sonne zerstört genauso viel wie zu viel Regen; nur das Regen schöner ist.
    Und es ist wirklich kaum auszuhalten, wenn dann alle auf glücklich tun & man selbst sich einfach nur in irgendeiner Ecke zusammen rollen & schlafen möchte. Deshalb feiere ich momentan jeden einzelnen Regentropfen. ^-^

    Es stimmt, was du schreibst. Natürlich ist alles, was man sich an "Kontrolle", "Disziplin" & wassonstnoch einbildet, Illusion. Aber so blöd es auch klingen mag, es hilft. Selbst wenn das alles nicht real ist, ist es dennoch etwas, das man quasi 'nicht verlieren kann'. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber manchmal fühle ich mich darin einfach zuhause. Als wäre es eine Mauer, die mich von der Realität abschirmt & vor ihr beschützt.
    Klar, man muss ein Leben lang mit sich selbst klarkommen. Aber sich selbst zu akzeptieren, ist wesentlich leichter gesagt als letztendich getan. Ich glaube, wenn alle Menschen mit sich selbst zufrieden & im Reinen wären, gäbe es keine Konflikte mehr.
    Ich versuche zwar, zufriedener mit mir selbst zu sein, aber es ist dennoch ein langer Weg. Und selbst wenn ich mich selbst irgendwann akzeptieren kann, akzeptiere ich immer noch nicht die Welt, in der ich mich einfach nicht zugehörig fühle.

    Pass auf dich auf. (:
    Alles Liebe, Kate♥

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  7. hi..
    ja, zwänge sind schrecklich anstrengend. so extrem wie jetzt hatte ich das eigentlich auch noch nie. und jetzt raste ich gerade aus, weil ich heute mal ansatzweise normal gegessen habe. meh, viel zu viel für meinen kopf und der körper will noch mehr haben. professionelle hilfe ist leider so eine sache. im moment geht es mir deutlich besser ohne, nachdem die letzten zwei versuche mehr kaputt gemacht haben als alles andere. ich habe gerade echt gar keine lust auf therapeuten. ich hoffe, dass das bei dir anders ist.

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