16. Juni 2016

Kasernenschläfer

Heute ist einer dieser Tage, an denen ich nach der Arbeit nicht nach Hause fahre, sondern auf meiner Stube penne. Und da es hier kein WLAN und auch keinen TV-Anschluss für Ablenkung gibt (jedenfalls nicht in unserem Block), habe ich an solchen Tagen immer ziemlich Schiss, denn ich kann es nicht lange ab, wenn ich alleine mit meinen Gedanken bin, ich werde dann schnell unruhig und ziemlich melancholisch.

Aber heute "muss" es sein, denn ich muss morgen früh zu einer Mission aufbrechen, an der ich wohl noch lange zu knabbern haben werde; mein Chef hat sich das Leben genommen und meine Kameraden und ich fahren hoch nach Kiel zu seinen Eltern auf die Beerdigung. Das Schlimme an der ganzen Sache ist, dass wir ALLE überhaupt NICHTS gemerkt haben, absolut GAR NICHTS. Und dabei behaupte ich von mir immer, eine gute Menschenkenntnis zu haben... aber es gab echt gar keine Anzeichen. Er war wohl bisher der größte Schauspieler, dem ich je begegnet bin. Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum und die überwältigenden Gefühle von tiefer Trauer, Entsetzen, und Fassungslosigkeit.
Was hat diesen Menschen so sehr beschäftigt und verletzt, dass er dieses Leben hinter sich lassen wollte?  Er war in den besten Jahren, 29 Jahre jung, hat das harte und anspruchsvolle Medizinstudium an einer Bundeswehr Uni gepackt, wurde vor nicht einmal einem Jahr zum Oberstabsarzt befördert (was dem Rang eines Majors entspricht), und das ist verglichen mit den meisten anderen Soldaten echt hoch. Er war locker, hat bei jeder Gelegenheit witzige Sprüche rausgehauen, und war einfach kein "typischer" Chef; ich durfte beim Reinigen seines Arztzimmers immer Metal hören, wir haben uns viel über Musik unterhalten, und er hat mir erzählt, dass er dieses Jahr wieder nach Wacken fahren würde. Ihr könnt mir nicht glauben, wie sehr er sich darauf gefreut hat. 
Und dann bin ich vor einer  Woche aus meinem zweiwöchigen Urlaub zurück, wollte ihm von den chaotischen Tagen bei Rock am Ring berichten, habe mich gefreut - bis ich zur Frau Hauptfeldwebel bestellt wurde. Dachte, ich hätte etwas angestellt und habe mit einem Einlauf gerechnet.  Als ich ihr in die Augen geguckt und gemerkt habe, dass irgendwas ist, wurde mir schlagartig mulmig zumute und mein Herz begann zu rasen, irgendwas war hier ganz und gar nicht richtig.
"... Herr S. hat sich Ende des letzten Monats das Leben genommen. Wir wollten dir das persönlich sagen, nicht über WhatsApp."
Ich sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, und konnte es einfach nicht fassen. Nein, das geht nicht, das ist Verarsche, ich träume, das kann nicht sein! war alles, was ich noch denken konnte. Ich bin in den Flur, hab das schwarz-weiße Foto gesehen, das Kondolenzbuch mit verschieden Texten und Unterschriften, und ich dachte ich kipp um.
Ich habe es bis heute immer noch nicht realisiert, die Bilder von ihm sind noch so lebendig in meinem Kopf, ich kann sein Gesicht sehen, seine Stimme hören. Und diese Schuldgefühle werden immer stärker; wir Idioten hätten was merken müssen, wir hätten es vielleicht verhindern können, wir haben ihn jeden verdammten Tag gesehen!

Zur Beerdigung muss ich einfach, auch wenn ich es sonst immer vermeide bzw. mich davor drücke. Die Gefühle, die da in einem hochkommen, spürt man sogar körperlich und es fühlt sich so an, als würde man von innen heraus aufgerissen und gleichzeitig gewürgt - und das schon, wenn die Personen eines natürlichen Todes sterben, oder infolge einer Krankheit. Aber ein Suizid, und das noch bei einem so jungen Menschen... das wird nochmal eine ganz andere Nummer.
Aber morgen geht es nicht anders, ich glaube nämlich, dass ich sonst nie damit abschließen könnte.



Ich hoffe einfach nur, dass es Ihnen da, wo Sie jetzt sind, besser geht und Sie Ihren Frieden finden, Herr Oberstabsarzt. Sie waren ein guter Chef, ich werde Sie nicht vergessen, und es war mir eine Ehre mit Ihnen zu arbeiten und Sie kennenlernen zu dürfen.








Dieser Text ist ziemlich lang geworden. Aber es musste einfach raus, musste meine Gedanken ein bisschen ordnen.





(Um eventuelle Fragen vielleicht jetzt schon zu beantworten - ja, ich arbeite bei der Bundeswehr, und ja, ich bin tatsächlich auch links und würde mich sogar dem versifften Antifapack zuordnen. Das passt bei vielen nicht ins Weltbild, das weiß ich. Ich weiß auch, dass es mich woanders hinzieht und ich nicht mein ganzes Berufsleben bei der Bundeswehr verbringen möchte, ich bin einfach zu idealistisch und unabhängig und lasse mir ungern etwas sagen. Dennoch bin ich froh diese Erfahrung machen zu dürfen, und ich habe hier bisher auch schon vieles fürs Leben gelernt und erfahren, was richtige Kameradschaft bedeutet.)

3 Kommentare:

  1. Liebe Calla, wie schön wieder etwas von dir zu hören :) Es freut mich sehr, dass es dir besser geht und du die Drogen hinter dir gelassen hast.

    Es tut mir sehr leid, dass sich dein Chef das Leben genommen hat. Ich kann mir vorstellen wie schwer es ist diese Tatsache zu akzeptieren und damit klar zu kommen. Aber dich trifft keine Schuld.
    Wenn ein Mensch um keinen Preis will, dass andere erkennen wie es ihm wirklich geht, dann hat man einfach keine Chance :( Ich hoffe auch, dass es ihm gut geht, dort wo er jetzt ist und dass es dir auch bald wieder besser geht.

    Es überrascht mich tatsächlich, dass du bei der Bundeswehr arbeitest, aber es ist schön, wenn du mit deiner Arbeit für den Moment zufrieden bist. :)

    Alles Liebe,
    Lia

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    1. Lia!
      Wie schön, dass du geschrieben hast! Habe die Tage noch geschaut, ob dein Blog noch online ist. Kann ihn zwar nicht einsehen, aber ich freue mich echt, dass du geschrieben hast und hoffe, dass es dir gut geht!

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    2. Es freut mich, dass du dich freust von mir zu hören :)
      Mir geht es eigentlich ganz gut. Also zumindest viel viel besser, aber schlechtere Tage gibt es natürlich noch immer. Wenn du Interesse hast meinen Blog wieder mitzulesen kann ich dir gerne eine Einladung schicken :) Deine E-Mailadresse müsste ich bestimmt noch irgendwo haben.
      Alles Liebe :)
      Lia

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